Medienunternehmen und Redaktionen werden von auf Medienrecht spezialisierten Anwälten immer wieder unter Druck gesetzt. Doch nützt das auch wirklich etwas? Dieser Frage gingen erstmals Wissenschaftler nach, die ihre Ergebnisse in einer Studie zusammengefasst haben.

Vor allem Prominente und Unternehmen versuchen immer wieder, mithilfe von Anwälten die Berichterstattung von Medienschaffenden – teilweise schon während der Recherche – zu verhindern oder zu beeinflussen. Dies geschieht beispielsweise mit Drohschreiben, in denen vor den rechtlichen Konsequenzen einer Berichterstattung gewarnt wird. Doch sind solche Strategien tatsächlich erfolgreich? Dieser Frage sind Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht an der TU Dortmund, und Daniel Mossbrucker, freier Journalist und Doktorand, in der Studie «Wenn Sie das schreiben, verklage ich Sie!» nachgegangen.

Für die empirische Pionierarbeit wurden zahlreiche Quellen ausgewertet und intensive Gespräche mit Journalisten und Anwälten geführt. Die 92-seitige Studie wurde von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und der Otto Brenner Stiftung (OBS) unterstützt. Das gemeinsame Fazit von Autoren und Förderern: Das Unterlassen juristischer Gegenwehr durch die Medienunternehmen schwächt die Meinungs- und Pressefreiheit.

Schriftliche Drohungen erhöhen die Sorgfalt der Journalisten – aber beflügeln sie auch

Anwaltliche Drohschreiben führten bei den meisten Journalisten nicht zur Einschüchterung oder gar Selbstzensur, wie Tobias Gostomzyk weiss. Die Autoren haben dazu u.a. 42 Journalisten und 20 Medienrechtsanwälte befragt. Allgemein würden solche Drohungen aber die Sorgfalt der Berichterstattung erhöhen (18 der 42 Journalisten gaben das an) und dazu führen, dass einzelne Formulierungen entschärft würden.

Eine Verhinderung investigativer Recherchen ist demnach aber die Ausnahme – und wenn, dann eher bei TV-Produktionen, falls sich die auftraggebenden Sender im Vorfeld weigern, die Haftungsrisiken zu übernehmen. So gaben 17 der 42 befragten Redaktoren an, dass die Drohungen der Anwälte sie eher motivieren als abschrecken würden. Und in einigen Fällen könnten solche Schreiben Redaktionen erst auf «eine Geschichte» aufmerksam machen.

Kommunikativ-kooperative Massnahmen nehmen an Bedeutung zu

Bei Medienunternehmen allerdings, deren finanzielle Lage angespannt ist, sinkt die Bereitschaft laut Studie seit einigen Jahren, kostenintensive Gerichtsprozesse zu führen.

Bei grossen Medienhäusern haben Anwälte, die gegen investigative Recherchen vorgehen, ihre Strategie inzwischen jedoch geändert, wie die Studie zeigt. Statt eine Berichterstattung im Vorfeld zu verhindern, setzen sie heute eher auf «kommunikativ-kooperative Massnahmen». Dabei soll die Berichterstattung inhaltlich beeinflusst werden. Anwälte setzen sich mit Kommunikationsagenturen in Verbindung und bieten Redaktionen andere Informationen an, die aus ihrer Sicht eher veröffentlicht werden können. Praxis ist auch, Hintergrundgespräche zu arrangieren, um die Berichterstattung zu beeinflussen. Die Kooperation mit Anwälten trifft laut Studie aber auch auf Gegenliebe, da Journalisten dadurch teilweise erneut wertvolle Information bekommen, und ihre Geschichte sachlicher wird.

Medien erhalten regelmässig Warnungen von Anwälten

Die Autoren warnen indes davor, sich instrumentalisieren zu lassen. Grundsätzlich haben Journalisten regelmässig Kontakt zu Anwälten der Gegenseite. 32 von 42 Journalisten bestätigten solche Kontakte im Vorfeld einer Veröffentlichung, 38 der 42 Befragten hatten schonmal danach mit Anwälten zu tun. Laut Studie erhalten Medien im Schnitt drei Warnungen vor einer Berichterstattung im Monat und müssen sich doppelt so oft danach mit Anwälten auseinandersetzen.

Eine weitere Taktik von Anwälten kann sein, konkurrierenden Redaktionen die recherchierten Informationen mit eigenem Spin anzubieten. Das nimmt der Geschichte jedoch ihre Exklusivität.

Medien sollten Verfahren gerichtlich klären lassen

Neben der Analyse skizziert die Studie auch Lösungsansätze und stellt Handlungsempfehlungen zur Diskussion. Autor Daniel Mossbrucker schlägt vor, dass «Medien sich selbst verpflichten sollten, Verfahren von grundsätzlicher Bedeutung höchstrichterlich gerichtlich klären zu lassen – und sich so gemeinsam für die Meinungs- und Pressefreiheit einsetzen.»

Geben Verlage rasch nach, beeinträchtig das die Pressefreiheit

Geben Verlage nach, anstatt medienrechtliche Streitigkeiten vor Gericht auszufechten, ist das gemäss Autoren in zweierlei Hinsicht fatal: Vorschnelle Unterlassungserklärungen würden nicht nur eine kontinuierliche kritische Berichterstattung gefährden, sondern auf lange Sicht auch zu einer Verschiebung des Medienrechts zulasten der Pressefreiheit führen.

Über die Studie

Für die Studie wurden unter anderem über 40 Journalisten, 20 führende Medienrechtler, Justitiare von über 20 Medienunternehmen sowie zahlreiche Fachanwälte für Urheber- und Medienrecht befragt.

Laut Jupp Legrand von der Otto Brenner Stiftung liegen mit der Studie erstmals aussagekräftige und überprüfbare Daten darüber vor, welche Folgen die Drohschreiben von Anwälten gegenüber Medien haben. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse fordert die OBS eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Redaktionen.